Spedition Hinrich Bay

Die Spedition Hinrich Bay bestand von 1869 bis 1980 als Familienunternehmen über vier Generationen. Da der Übergang der Geschäfte an den jeweiligen Nachfolger üblicherweise über einen längeren Zeitraum fließend erfolgte und genaue Daten der offiziellen Übergaben aus der frühen Zeit nicht bekannt sind, werden die Inhaber hier an den Anfang gestellt: Claus Hinrich Bay (*1839-+1902), Hinrich Bay (*1866-+1933), Claus Hinrich Bay (*1896-+1976), Rolf Heesch (*1923-+1997).

Die Einwohnerzahl des ca. 30 km nordwestlich von Altona und Hamburg gelegenen und 1870 zur Stadt erhobenen Fleckens Uetersen verdoppelte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts auf rund 6000.

Neben Getreide- und Lohmühlen siedelten sich hier Gerbereien, Zementfabriken, eine Düngerfabrik sowie 1893 ein Eisenwerk an. Der Ort verfügte an der schiffbaren Pinnau über Kaianlagen. Dem geplanten Streckenverlauf der Altona-Kieler-Eisenbahn von 1839 über Uetersen verweigerte man sich hier nach erbitterten Kontroversen, sodass die 1844 eröffnete "König-Christian-des-Achten-Ostseebahn" zwischen Pinneberg und Elmshorn einen Haltepunkt im vier km östlich gelegenen Tornesch bekam. Erst 1871 entschloss man sich in Uetersen zum Bau einer Anschlussbahn zu diesem Bahnhof.

Holstein stand bis 1864 unter dänischer Administration. Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 und dem Deutschen Krieg 1866 wurde es von Preußen annektiert und 1867 gemeinsam mit Schleswig als Provinz Schleswig-Holstein Teil des Norddeutschen Bundes.

1869 gründete Claus-Hinrich Bay in der Uetersener Mühlenstraße einen Fuhrbetrieb. 1882 bekam er den Zuschlag für einen Vertrag über die Bereitstellung von drei Kutschern sowie der erforderlichen Pferde für die Pferdebahn der Uetersener Eisenbahn AG nach Tornesch. Dieser endete 1908 mit Einführung von Dampftriebwagen. Auch zum Holzrücken und Abtransport der Stämme wurden Pferde und Gespanne häufig eingesetzt.

Kurz vor der Jahrhundertwende übersiedelte der Betrieb in den Großen Wulfhagen mit einer Zufahrt auch von einer hinteren Parallelstraße. Im neu errichteten Wohn- und Geschäftshaus fand auch eine Gastwirtschaft Platz, die bis Ende der 1940er-Jahre betrieben wurde.

Regelmäßige Auftraggeber bis in die 60er waren u.a. der benachbarte Mühlenbetrieb Johann Röpcke ("Porlan-Mehl"), die Schleswig-Holsteinische landwirtschaftliche Hauptgenossen-schaft (später einfach nur HaGe) an der Pinnau sowie die Lederfabriken am Ort und in der näheren Umgebung.

Standen bis Mitte der 1920er-Jahre noch ca. 20 Pferde im Stall, kamen mit einem Mannesmann-Mulag sowie einem Nacke die ersten Lastkraftwagen und ein Hanomag-Radschlepper WD R28/32 in den Fuhrpark.

Der mittlere der Chauffeure vor dem Mannesmann war - unterbrochen nur durch den Kriegseinsatz als Kraftfahrer - bis 1969 im Unternehmen beschäftigt, konnte also bis hinauf zum Büssing BS 16 auf eine große Erfahrung mit unterschiedlichen Fahrzeugtypen zurückblicken.

Claus Hinrich Bay ca. 1930 auf dem Hanomag-Schlepper.

Aus dieser Zeit stammen auch der Möbelanhänger und der Firmen-PKW, ein Hansa-Cabriolet.

Fotopause während eines Umzugs in Elmshorn 1937.

Außerdem wurde vor dem Haus im Großen Wulfhagen eine Brückenwaage installiert. Diese war ausreichend für die meisten zweiachsigen Fahrzeuge; bei Dreiachsern musste man zweimal wiegen. Im Zuge der Asphaltierung der B 431 sowie der Anlage einer Bushaltestelle vorm Haus im Jahr 1966 wurde die Waage auf das Gelände der Uetersener Eisenbahn am Ossenpadd verlegt.

Bis zum 2. Weltkrieg wurden dann MAN-Fahrzeuge der Typen KVB 6 sowie F 1/F 2 H6 beschafft. Ob während des Krieges Fahrzeuge für die Wehrmacht requiriert wurden, ist nicht bekannt.

MAN KVB 6 ca. 1937

Nach den verheerenden Luftangriffen der Operation "Gomorrha" auf Hamburg 1943 wurden Fahrzeuge samt Fahrer zum Transport von Todesopfern zur Bestattung in Massengräbern auf dem Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf und zu den umfangreichen Aufräumarbeiten heran-gezogen.

Dieser Gräf & Stift 120 L-D wurde nach dem Krieg möglicherweise aus Wehrmachtsbeständen zugeteilt. Motorisiert mit einem in Lizenz gebauten Daimler-Benz OM 67, war der LKW vormals mit einem Holzgasgenerator ausgestattet; erkennbar ist dies z.B. am weit vergezoge-nen Stoßfänger, auf dem der Gaskühler saß. Hier zeigt er sich nach dem Rückbau auf Diesel- betrieb.

1950 wurde auf dem Betriebshof eine neue Garage errichtet. Im Vordergrund sieht man den firmeneigenen Opel-Olympia, in der Bildmitte den MAN F 2.

 

MAN F2 mit wattierter Haubenabdeckung.

In der fertiggestellten Halle stehen der F 2 und ein KVB 6 nebeneinander.

Letztere hatten gegenüber der Serienversion ein anderes Fahrerhaus, einen stark modi-fizierten Vorderwagen und Scheibenräder statt der Radsterne.

1949 wurden bei Büssing-NAG mit einem Typ 5000 und einem Typ 7000 die ersten Neufahr- zeuge nach dem Krieg bestellt.

Büssing-NAG 5000

Auf diesen Bildern steht ganz rechts der 7000 zusammen mit dem 1950 in Dienst gestellten Büssing 5500 (2. v.l.) sowie zwei 8000ern der Spedition Heik an der Rampe der Papierfabrik Feldmühle in Uetersen. An der hellen Plane gut zu erkennen ist ein brandneuer Köhler-Dreiachsanhänger (1953). Die Feldmühle war ein fester Auftraggeber bis zum Schluss.

Um passende Rückfrachten musste man sich über die bundesweit in allen größerne Städten von der Straßenverkehrsgenossenschaft SVG unterhaltenen Laderaum-Verteilungsstellen bemühen.

Es standen vier Konzessionen für den Güterfernverkehr zur Verfügung, drei sogenannte "rote Striche", die das gesamte Bundesgebiet umfassten, sowie ein "blauer Strich" mit der Genehmigung für den Verkehr im Umkreis von 150 km um den Standort. Später kam ein "gelber Strich" für bundesweiten Möbelfernverkehr hinzu.

Wochenendruhe auf dem Hof.

Der Büssing-NAG 7000 war nach einem Ausweichmanöver auf die Uferböschung des Flusses Bille in Hamburg geraten.

Vom Anfang der 50er datiert eine Anekdote, die auch später oft und gern erzählt wurde, sodass sie Teil des kollektiven Gedächtnisses der Belegschaft wurde: Innerhalb einer kurzen Zeitspanne gingen auf der Bundesstraße 3, kurz hinter Buchholz/Nordheide, zwei Anhänger durch Reifenbrand verloren. Diesen Ereignissen wurde von der Fahrerschaft beim häufigen Passieren dieses Städtchens "in Ehrfurcht gedacht", was auch für eine erhöhte Sorgfalt bei der Abfahrtkontrolle sorgte. So etwas ist jedenfalls nie wieder passiert.

Der Büssing 8000 S13 war mit 180 PS damals das Flaggschiff im Fuhrpark. Hier direkt nach der Ausfahrt vom Hof.

Auf dem Betriebsgelände erkennt man im Vordergrund den 8000 und rechts daneben den Büssing 7500 von 1954. Beide LKW sind mit Fahrerhäusern der Fa. J.A. Schlüter Söhne ausgestattet. Diese Firma, mit Sitz in Hamburg, unterhielt nicht nur eine Handelsvertretung und Reparaturwerkstatt für Büssing-Fahrzeuge, sondern war auch im Karosseriebau tätig. Bis Mitte der 60er Jahre war es durchaus üblich, statt der von den LKW-Herstellern angebotenen Standardkabinen Fahrerhäuser nach eigenen Vorstellungen von Ausstattung und Komfort anfertigen zu lassen. Im Hintergrund zu erahnen ein LU 7.

Aufgrund der rigiden Gewichtsbeschränkungen der unter dem damaligen Verkehrsminister Seebohm ersonnenen neuen Vorschriften wurden ab 1955 zwei kleinere Büssing Unterflur- Lastwagen LU 7 und später ein LU 77 beschafft. Für schwere, ältere Fahrzeuge gab es befris- tete Übergangsregelungen.

Zu dieser Zeit wurden der weiter oben abgebildete 5500 und ein älterer, kleiner 8 to. Lindner-Anhänger zu Möbelwagen mit Stabholzaufbauten umgebaut.

1961 gingen die beiden Pferde, die bis dahin für die Rollfuhren (Stückgutverteilung) im Auftrag der Uetersener Eisenbahn A.G. vor einem luftbereiften Wagen eingesetzt wurden, ebenso wie der Kutscher in den Ruhestand.

Das Einheitserde-Werk in Uetersen und der Dachbahnen-Hersteller Binné & Sohn in Pinne-berg kamen als Auftraggeber hinzu. Ebenso wurde für das Futtermittelwerk Schaumann, auch über die Verlagerung der Produktion Mitte der 60er nach Hamburg hinaus, viel gefahren.

Ab 1960 durften Lastzüge mit 32 to. Gesamtgewicht eingesetzt werden, und so wurden bis 1964 drei neue Büssing LU 11 und ein neuer 16 to. - Zweiachsanhänger gekauft. Der schwere zwillingsbereifte 24 to. - Dreiachser wurde eingekürzt, seiner dritten Achse beraubt und so ge- setzeskonform gemacht.

Büssing LU 11 Commodore nach einer Havarie.

Der Lastwagen war 1963 ohne Aufbau ausgeliefert worden, denn es konnte eine relativ neue Pritsche von der Spedition Christensen aus Wedel erworben und aufgesetzt werden, da sie einen ihrer LU 11 mit einem Kofferaufbau versehen hatte. Beide Unternehmen waren freund-schaftlich verbunden.

1965 löste der Burglöwe U-M mit Aufbau und Anhänger von Ackermann den alten Möbel- lastzug ab.

Mit der Ausmusterung der beiden LU 7 verließen 1966 die letzten Nahverkehrsfahrzeuge den Fuhrpark. Im Jahr darauf wurde im Auftrag der Fa. Keyes Fibre ein Regionallager, für im Le- bensmittelhandel benötigter Portionsverpackungen, eingerichtet. Diese wurden in Kartons von Papierfabriken aus Sizilien per Waggon und aus Norwegen per LKW angeliefert. Für die Auslieferung reichte in der Regel die VW-Pritsche.

1967 wurde ein Büssing 14-185 Supercargo angeschafft, dem zwei Jahre später mit einem BS 16/240 der letzte Büssing im Fahrzeugbestand folgte. Der Supercargo war kein sonderlich beliebter LKW und wurde schon 1971 durch den ersten Mercedes, einen LP 1624, ersetzt. Ab dieser Zeit wurde viel für die im Landkreis Pinneberg angesiedelten Baumschulen gefahren und der Baustoffhersteller YTONG, mit seinen Werken in Wedel, Rotenburg/Wümme und Salzgitter, kam als dauerhafter Auftraggeber hinzu.

Büssing wurde 1971 von MAN übernommen. Somit hatte die Firma J.A. Schlüter Söhne nicht mehr die Vertretung für diese Fahrzeuge. Seit 1968 war sie jedoch auch Vertragspartner von Daimler-Benz. Bei Hinrich Bay entschloss man sich, die langjährige Zusammenarbeit mit Schlüter fortzusetzen und zu Mercedes-Fahrzeugen zu wechseln. Dieser Wechsel wurde von den Fahrern nicht gerade begrüßt, waren doch die Fahrerhäuser der Büssings, durch deren Unterflurbauweise und den damit verbundenen Wegfall eines Motortunnels, vergleichsweise geräumig und komfortabel. Auch wurde die schwache Durchzugskraft der V-Motoren der Baureihen mit 320 und 260 PS bemängelt.

Das Firmengelände im Jahr 1973 mit vier 38 to. Fernlastzügen, Mercedes LP 1632 und LP 1624, Büssing BS 16 und LU 11 sowie dem Burglöwe-Möbelzug. 1975 ersetzte ein NG 1632 den verbliebenen LU 11.

An einem späten Frühsommerabend des Jahres 1976 kam der Mercedes LP 1632 mit An-hänger auf der A 7 von Süden kommend kurz vor Bispingen von der Fahrbahn ab, zog schräg die Böschung hinauf, um dann, auf die linke Seite gekippt, liegen zu bleiben.

Der leere Zug war am Freitagmittag auf der Heimfahrt und sollte am späten Nachmittag im YTONG-Werk Salzgitter eine Ladung Baustoffe als Umfuhr für das Werk Wedel laden. Da es mit der Beladung dann doch etwas später geworden war, läuteten die beiden Fahrer das Wochenende schon mal vor der Abfahrt mit einem "kleinen Umtrunk" ein. Einer legte sich in die Koje, der andere traute es sich noch zu, die Fuhre heil nach Hause zu bringen...

Ersthelfer bargen den leicht verletzten Fahrzeuglenker aus dem umgestürzten Lastzug, und er kam in ein nahegelegenes Krankenhaus. Als der Krankenwagen abgefahren und die Unfallstelle abgesichert war, kletterte ein Polizeibeamter noch einmal ins Fahrerhaus, um die Tachoscheibe sicherzustellen. Er entdeckte dabei eher zufällig den zweiten Fahrer fast aufrecht stehend, schlafend in der unteren Koje. Er war völlig unverletzt und hatte von dem ganzen Geschehen nichts mitbekommen.

Der Fahrzeugführer wurde bis zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis als Möbelpacker weiterbeschäftigt. Das Unfallfahrzeug wurde durch einen gleichaltrigen, gebraucht erworbenen LKW der Spedition Möllenbruck aus Hamburg ersetzt. Der Anhänger konnte instandgesetzt werden.

Es fehlt nur noch das, damals obligatorische, Michelin-Männchen auf der Dachluke.

Ab 1977 fuhren zwei Lastzüge ausschließlich für YTONG. Beim LP 1624 samt Anhänger wurden Spriegel und Plane entfernt und der offene Zug in den Farben des Auftraggebers gelb/schwarz lackiert sowie mit den entsprechenden Schriftzügen versehen. Im gleichen Farbkleid fuhr ein neuer Mercedes NG 2226 mit Atlas-Ladekran und gebrauchtem, zwillings- bereiften Vidal-Anhänger. Im gleichen Jahr trennte man sich vom Möbeltransport.

Im Jahre 1980 stellte die Spedition Bay den Betrieb aus zweierlei Gründen ein: So begannen zum einen die Auftraggeber gegen Ende des Jahrzehnts, ihren Spediteuren die Anlage speditionseigener Lagerkapazitäten als Bedingung für eine zukunftssichere Zusammenarbeit zu machen; dies hätte die Verlegung des Unternehmens auf ein außerhalb der Stadtmitte liegendes Gelände mit erheblichen Investitionen erfordert. Zum anderen hatten sich die möglichen Nachfolger beruflich anders orientiert.

Bilder:

Detlef Heesch

Text:

Detlef Heesch